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Intelligente Kleidung und KI

Neue Technologie zur Diagnose und Überwachung von neurologischen Erkrankungen

Internationale Forschungsgruppen haben auf der Basis von Wearables und künstlicher Intelligenz ein neuartiges Instrumentarium für die Diagnostik und Überwachung neurologischer Erkrankungen entwickelt. In zwei Studien berichten die Forscher:innen am Beispiel der Friedreich-Ataxie und der Duchenne-Muskeldystrophie über die erfolgreichen Anwendungen.

Für die Fallstudien wurden Sensoren genutzt, die in Kleidungsstücke eingebaut sind und die Körperbewegungen erkrankter Personen während ihres normalen täglichen Lebens registrieren. Algorithmen verarbeiten die von den Sensoren übermittelten Signale in ihrem Gesamtzusammenhang. Dieses neue KI-System ist nicht nur imstande, die für eine neurologische Erkrankung charakteristischen Bewegungsmuster zu identifizieren, die so klein sind, dass sie selbst für erfahrene Neurolog:innen unsichtbar bleiben. Es kann darüber hinaus auch das Krankheitsstadium von Patient:innen ermitteln und in jedem Einzelfall mit hoher Genauigkeit vorhersagen, welchen weiteren Verlauf die Erkrankung ohne therapeutische Eingriffe voraussichtlich nehmen wird. Die sensorgestützten Algorithmen fungieren als digitale Biomarker, die erstmals ein präzises und kontinuierliches Monitoring der Patient:innen ermöglichen. In diagnostischer Hinsicht sind diese Biomarker den etablierten klinischen Verfahren zur Erkennung neurodegenerativer Krankheitsbilder überlegen: Vom Ausbruch einer Erkrankung bis zum Aufspüren charakteristischer Symptome verstreicht nur etwa halb so viel Zeit wie bei der Anwendung traditioneller Methoden.

Die beiden jetzt veröffentlichten Fallstudien zur Friedreich-Ataxie und zur Duchenne-Muskeldystrophie zeigen, dass die zugrunde liegende neue Technologie vom Prinzip her auf alle Erkrankungen anwendbar ist, die Störungen oder Veränderungen des Bewegungsverhaltens verursachen. Vor allem bei Erkrankungen, für die ein schleichender oder sehr wechselhafter Verlauf charakteristisch ist, kann sie wertvolle diagnostische und therapeutische Unterstützung leisten. „Die systematische Verknüpfung von Wearables und künstlicher Intelligenz versetzt die Medizin erstmals in die Lage, auch für seltene neurodegenerative Krankheiten Therapiekonzepte zu entwickeln, die auf die individuelle körperliche Verfassung der Patientinnen und Patienten zugeschnitten sind. Nach Beginn einer Therapie können unsere Biomarker dabei helfen, deren Wirksamkeit zu überprüfen und gegebenenfalls nötige Anpassungen vorzunehmen“, sagt der Leiter der Forschungsgruppe, Prof. Dr. Aldo Faisal, Universität Bayreuth.

Friedreich-Ataxie: Messung der Genaktivität nur aufgrund von Bewegungsdaten

Die Friedreich-Ataxie beruht auf einer genetisch bedingten Störung der körpereigenen Produktion des Proteins Frataxin. Diese Erkrankung kann das Nervensystem auf sehr unterschiedliche Weise schädigen. Die Diagnose wird im Anfangsstadium oft dadurch erschwert, dass gleiche oder ähnliche Symptome auch bei anderen neurologischen Erkrankungen auftreten können. Die neuen Biomarker sind in der Lage, die genetische Steuerung der Frataxin-Produktion im Zeitverlauf zu überwachen.

Erstmals kann jetzt die Aktivität von Genen im Menschen nur anhand von Bewegungsdaten, ohne die Entnahme von Blut- oder Gewebeproben, gemessen werden. Dies ermöglicht langfristige Prognosen, zu denen die etablierten klinischen Verfahren nicht in der Lage sind. Den Patient:innen bleiben daher langwierige Untersuchungsreihen erspart, und das Gesundheitssystem wird von den entsprechenden Kosten entlastet. Das neue KI-System ermöglicht damit erstmals die Entwicklung effektiver, auf die einzelnen Patient:innen passgenau zugeschnittener Therapien.

Duchenne-Muskeldystrophie: zeitnahes und präzises Monitoring therapeutischer Maßnahmen

Bei der Duchenne-Muskeldystrophie handelt es sich um eine genetisch bedingte Muskelerkrankung, die schon im frühen Kindesalter beginnt. Vor allem wegen starker Beeinträchtigungen der Atemfunktion ist die Lebenserwartung der Erkrankten oftmals sehr begrenzt. Den Forscher:innen ist es jetzt gelungen, einen Biomarker – den „KineDMD“ – zu entwickeln, der ein zuverlässiges Gesamtbild von den aktuellen motorischen Fähigkeiten einer erkrankten Person vermittelt. Zeitnah und präzise werden die Wirkungen therapeutischer Maßnahmen erfasst. „Unsere Forschungsergebnisse enthalten zahlreiche Anknüpfungspunkte dafür, diese Technologie auf andere neurodegenerative Erkrankungen, aber auch auf kardiologische und orthopädische Erkrankungen auszuweiten – bis hin zu Schädigungen des Nervensystems, die beispielsweise durch einen Schlaganfall oder einen Herzinfarkt verursacht wurden“, erklärt Prof. Faisal.(red)

Medienmitteilung der Universität Bayreuth vom 23. Jänner 2024

Kadirvelu B et al.: A wearable motion capture suit and machine learning predict disease progression in Friedreich’s ataxia. Nat Med 2023; DOI: https://dx.doi.org/10.1038/s41591-022-02159-6 Ricotti V et al.: Wearable full-body motion tracking of activities of daily living predicts disease trajectory in Duchenne muscular dystrophy. Nat Med 2023; DOI: https://dx.doi.org/10.1038/s41591-022-02045-1

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